Man sagt, es gibt Geschehnisse, die vergisst du nie. Du wirst
nie vergessen wo du gerade warst, was du gerade getan hast. Am 15.05.2013 wurde
offiziell bekannt gegeben, dass Thomas Schaaf und Werder Bremen ab sofort
getrennte Wege gehen werden. Ich saß am Schreibtisch meiner Freundin und
schrieb etwas für die Hochschule, als drei Worte meinen Tag ruinierten: Ende
einer Ära.
Die Rückrunde der Saison 2012/2013 war grausam. Die einst
beste deutsche Mannschaft hinter den Bayern droht abzusteigen und es wurde von Spieltag
zu Spieltag schlimmer. Und mit jeder Schlappe, jeder ausgelassenen Torchance,
jedem Gegentor wurde es ungemütlicher für Thomas Schaaf. Die letzte große
Identifikationsfigur des Vereins saß auf einem mehr als wackeligen Stuhl.
Die Rückenlehne verteilte sich Stückchenweise im Raum, die Sitzfläche drohte zu
brechen und die morschen Beine gaben unter der Last der Abstiegsangst langsam nach. Es war stark
davon auszugehen, dass Werder in der nächsten Saison mit einem neuen Trainer
starten würde. Unvorstellbar eigentlich. Nach 14 Jahren soll da plötzlich nicht
mehr Thomas sitzen? Allein die Vorstellung tat im Herzen weh.
Niederlage in Leverkusen. Davon war auszugehen. Doch die
Mannschaft wehrte sich, kämpfte. Dazu das mehr als unglückliche Gegentor per
Strafstoß. Es war ein gutes Spiel von Werder, honoriert durch lautstarken
Support und eine außergewöhnliche, ich würde sogar sagen völlig untypische
Fanaktion nach dem Spiel. Dort, wo bei 17 anderen Erstliga-Vereinen Pfiffe und „Trainer
raus“-Gebrüll herrschen würde, wurde nach dem Spiel die größte „Wir stehen
hinter euch!“-Aktion abgefeiert, die ich jemals gesehen habe. Dauergesang
lockte Mannschaft und Trainerstab weit nach dem Spiel wieder aus der Kabine. Abklatschen, Mut machen.
Hoffenheim und Frankfurt mussten jetzt zu Hause geschlagen werden, „ALLEz Grün!“
war geboren. Ob man nun einen Namen brauchte, für das, was eigentlich
selbstverständlich sein sollte – nämlich bedingungslosen Support auch wenn’s gerade
nicht läuft - sei einmal dahin gestellt. Auf jeden Fall bewirkte Leverkusen etwas.
Plötzlich gab es aus dem Oberrang keine Mittelfinger oder Pfiffe mehr.
Stattdessen beteiligten sich sogar die eingefleischtesten
Fußballimsitzen-Gucker am Support. Gänsehautfeeling im Weserstadion, zwei Punkte aus zwei Spielen. Magere Ausbeute, zum
Verbleib in der ersten Liga reichte es dennoch. Geschafft! Verein gerettet,
Trainer gerettet? Nein. Nachdem der Nichtabstieg erreicht wurde hieß es:
Weichen stellen für die nächste Saison, Trainerwechsel.
Der niederprasselnde Regen deprimierte mich so sehr, dass
ich dringend eine Pause vom Schreiben brauchte. Da YouTube eine zu große
Ablenkung wäre, entschied ich mich für Facebook. Schnell anmelden, neuste
Meldungen anzeigen lassen und direkt vom Stuhl kippen. Werder und Schaaf
trennen sich (im Einvernehmen, ist klar…). Und plötzlich ist da ein Gefühl, als
hätte gerade meine Freundin mit mir Schluss gemacht. Innerhalb weniger Minuten
berichten mir vier Freunde per SMS, was ich gerade selber versuche zu
verarbeiten. Thomas Schaaf ist nicht länger Trainer bei Werder. Obwohl es die
nur logische Konsequenz aus anhaltender Erfolglosigkeit war, ist die Entlassung
der letzten großen Legende mehr als nur ein Schock. Konnte man sich bei Werder
nie sicher sein, was als nächstes passiert, so wusste man doch, dass eines
immer unverändert bliebe: Thomas Schaaf.
Im Stadion des 1. FC Nürnberg herrschte eine ganz seltsame
Stimmung – zumindest im Gästeblock. Alle wussten, was hier passieren würde. Eine
90-Minütige Verabschiedungszeremonie für den
Bremer schlechthin. Ob Werder 8:0 gewinnen oder verlieren würde war völlig
nebensächlich. Es drehte sich nur um den Mann, der Werder so sehr geprägt hat.
90 Minuten „Thomas Schaaf olé“, „Danke Thomas“ Plakate, „Thomas Schaaf – einer von
uns“. Es war ein eineinhalbstündiger Liebesbrief, vorgetragen aus tausend
Seelen.
Am 09.08.2003 war ich zum ersten Mal alleine in der
Ostkurve. Meine erste Dauerkarte, eingeläutet durch ein 1:1 gegen Gladbach, veredelt
durch den Gewinn der deutschen Meisterschaft.
Am 17.08.2013 war ich wieder zum ersten Mal in der Ostkurve.
Doch zehn Jahre und acht Tage nach meinem ersten Besuch sitzt da plötzlich ein
anderer auf der Trainerbank von Werder Bremen, dem wir jetzt genau so den
Rücken stärken müssen, wie wir das bei Thomas Schaaf getan haben. Vielleicht
hält er ja auch irgendwann die Werderfahne aus dem Flugzeug, so wie es Thomas
am Samstag tat, als „You’ll never walk
alone“ aus den Lautsprechern des Weserstadions ertönte und der Flieger noch ein
letztes Mal landen durfte. Direkt in der Ostkurve.
Danke Thomas <3
Gänsehaut en masse...
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