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Montag, 19. August 2013

Das Ende einer Ära


Man sagt, es gibt Geschehnisse, die vergisst du nie. Du wirst nie vergessen wo du gerade warst, was du gerade getan hast. Am 15.05.2013 wurde offiziell bekannt gegeben, dass Thomas Schaaf und Werder Bremen ab sofort getrennte Wege gehen werden. Ich saß am Schreibtisch meiner Freundin und schrieb etwas für die Hochschule, als drei Worte meinen Tag ruinierten: Ende einer Ära.



Die Rückrunde der Saison 2012/2013 war grausam. Die einst beste deutsche Mannschaft hinter den Bayern droht abzusteigen und es wurde von Spieltag zu Spieltag schlimmer. Und mit jeder Schlappe, jeder ausgelassenen Torchance, jedem Gegentor wurde es ungemütlicher für Thomas Schaaf. Die letzte große Identifikationsfigur des Vereins saß auf einem mehr als wackeligen Stuhl. Die Rückenlehne verteilte sich Stückchenweise im Raum, die Sitzfläche drohte zu brechen und die morschen Beine gaben unter der Last der Abstiegsangst langsam nach. Es war stark davon auszugehen, dass Werder in der nächsten Saison mit einem neuen Trainer starten würde. Unvorstellbar eigentlich. Nach 14 Jahren soll da plötzlich nicht mehr Thomas sitzen? Allein die Vorstellung tat im Herzen weh.
Niederlage in Leverkusen. Davon war auszugehen. Doch die Mannschaft wehrte sich, kämpfte. Dazu das mehr als unglückliche Gegentor per Strafstoß. Es war ein gutes Spiel von Werder, honoriert durch lautstarken Support und eine außergewöhnliche, ich würde sogar sagen völlig untypische Fanaktion nach dem Spiel. Dort, wo bei 17 anderen Erstliga-Vereinen Pfiffe und „Trainer raus“-Gebrüll herrschen würde, wurde nach dem Spiel die größte „Wir stehen hinter euch!“-Aktion abgefeiert, die ich jemals gesehen habe. Dauergesang lockte Mannschaft und Trainerstab weit nach dem Spiel wieder aus der Kabine. Abklatschen, Mut machen. Hoffenheim und Frankfurt mussten jetzt zu Hause geschlagen werden, „ALLEz Grün!“ war geboren. Ob man nun einen Namen brauchte, für das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte – nämlich bedingungslosen Support auch wenn’s gerade nicht läuft - sei einmal dahin gestellt. Auf jeden Fall bewirkte Leverkusen etwas. Plötzlich gab es aus dem Oberrang keine Mittelfinger oder Pfiffe mehr. Stattdessen beteiligten sich sogar die eingefleischtesten Fußballimsitzen-Gucker am Support. Gänsehautfeeling im Weserstadion, zwei  Punkte aus zwei Spielen. Magere Ausbeute, zum Verbleib in der ersten Liga reichte es dennoch. Geschafft! Verein gerettet, Trainer gerettet? Nein. Nachdem der Nichtabstieg erreicht wurde hieß es: Weichen stellen für die nächste Saison, Trainerwechsel.
Der niederprasselnde Regen deprimierte mich so sehr, dass ich dringend eine Pause vom Schreiben brauchte. Da YouTube eine zu große Ablenkung wäre, entschied ich mich für Facebook. Schnell anmelden, neuste Meldungen anzeigen lassen und direkt vom Stuhl kippen. Werder und Schaaf trennen sich (im Einvernehmen, ist klar…). Und plötzlich ist da ein Gefühl, als hätte gerade meine Freundin mit mir Schluss gemacht. Innerhalb weniger Minuten berichten mir vier Freunde per SMS, was ich gerade selber versuche zu verarbeiten. Thomas Schaaf ist nicht länger Trainer bei Werder. Obwohl es die nur logische Konsequenz aus anhaltender Erfolglosigkeit war, ist die Entlassung der letzten großen Legende mehr als nur ein Schock. Konnte man sich bei Werder nie sicher sein, was als nächstes passiert, so wusste man doch, dass eines immer unverändert bliebe: Thomas Schaaf.
Im Stadion des 1. FC Nürnberg herrschte eine ganz seltsame Stimmung – zumindest im Gästeblock. Alle wussten, was hier passieren würde. Eine 90-Minütige Verabschiedungszeremonie für den Bremer schlechthin. Ob Werder 8:0 gewinnen oder verlieren würde war völlig nebensächlich. Es drehte sich nur um den Mann, der Werder so sehr geprägt hat. 90 Minuten „Thomas Schaaf olé“, „Danke Thomas“ Plakate, „Thomas Schaaf – einer von uns“. Es war ein eineinhalbstündiger Liebesbrief, vorgetragen aus tausend Seelen.
Am 09.08.2003 war ich zum ersten Mal alleine in der Ostkurve. Meine erste Dauerkarte, eingeläutet durch ein 1:1 gegen Gladbach, veredelt durch den Gewinn der deutschen Meisterschaft.
Am 17.08.2013 war ich wieder zum ersten Mal in der Ostkurve. Doch zehn Jahre und acht Tage nach meinem ersten Besuch sitzt da plötzlich ein anderer auf der Trainerbank von Werder Bremen, dem wir jetzt genau so den Rücken stärken müssen, wie wir das bei Thomas Schaaf getan haben. Vielleicht hält er ja auch irgendwann die Werderfahne aus dem Flugzeug, so wie es Thomas am Samstag tat, als „You’ll never walk alone“ aus den Lautsprechern des Weserstadions ertönte und der Flieger noch ein letztes Mal landen durfte. Direkt in der Ostkurve. 
Danke Thomas <3

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