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Montag, 24. Oktober 2016

Leipzig – verdammt anders



Freiwillig nach Sachsen. Ich. Kopfschüttelnd tippe ich diese Zeilen. Der Ausflug an die Elster war ein regelrechter Kampf mit mir selbst. Auf der einen Seite will ich mein Team unterstützen, auf der anderen Seite ist da dieser Brauseclub, der eigentlich keinerlei Beachtung wert ist. Nun gut: love love, hate hate. Hinfahren und gucken, was da eigentlich so abgeht, in Leipzig. Bei Red Bull.

Eines vorweg: Die Kommerzialisierung des Fußballs ist zum Kotzen. Von vorne bis hinten. Ja, es ist schön, dass ich jedes gottverdammte Bundesligaspiel auf dem Sofa genießen kann, dass ich im Stadion nicht vollgeregnet werde und ich freue mich sehr darüber, dass der eine oder andere gute Spieler bei meinem Lieblingsklub spielt. Das ist alles ganz wunderbar. Was ich jedoch in Leipzig gesehen und erlebt habe, war die Hölle. Hier hat jemand jedes einzelne Klischee genommen und es erfüllt. Die vollkommene Reizüberflutung.
Angefangen bei dem Fan in der Straßenbahn, der von seinem Schlafzimmer schwärmte, welches er fein säuberlich zu jeweils 50% mit Bayern München und RB Leipzig Utensilien ausrüstete und abgerundet durch Sponsorenschals und ganz, ganz, ganz viel Fremdscham. Leipzig, du schöne Stadt. Was hat man dir da nur angetan?

Nun gut, genug gejammert. Es war zwar wirklich schrecklich kitschig in Leipzig, aber irgendwie auch.. ich weiß nicht so recht. Gut? Ja, irgendwie war es gut. Schließlich zeichnete sich am Stadion angekommen ein Bild, welches mir in der Art vorher nicht wirklich durch den Kopf spukte, wenn ich an RB dachte. Als ich da so stand und mit einem guten Freund analysierte, was hier gerade passiert, kam mir immer wieder der gleiche Gedanke: Das hier ist so was wie die Zukunft. Wieso? Ganz einfach: Rasenballsport Leipzig ist etwas Positives. Nicht für den Fußballromantiker, der sich finanziell eigenständige und gesunde Vereine wünscht. Aber für die Außendarstellung der Bundesliga schon. Selten habe ich so viele Familien beim Fußball gesehen, wie am Sonntag in der Red Bull Arena. Und das in Zeiten der Überdramatisierung durch BILD, Wendt & Co. Natürlich weiß jeder, der öfter zum Fußball fährt, dass ein Stadionbesuch sicher ist. Aber es fährt eben nicht jeder öfter zum Fußball. Erst neulich sagte ein Arbeitskollege zu mir, dass Ultras und Hooligans doch das Gleiche wären. So ein Quatsch kommt natürlich nicht durch eigene Erfahrungen zustande, sondern durch das Wahrnehmen der Berichterstattung, Voreingenommenheit etc. pp. Aber genau das ist eines der großen Probleme des deutschen Fußballs. Das Volk glaubt, was es glauben will. Was das mit RB zu tun hat? Hier wird das genaue Gegenteil präsentiert. Hier ist alles Friede, Freude, Eierkuchen. Die Menschen fühlen sich gut, die Menschen haben ihren Spaß und es ist ihnen vollkommen egal, auf was für Beinen das Konstrukt RBL aufgebaut ist. Die wollen einfach Bundesliga gucken. Im Stadion. Vor Ort. Dieser dumme Spruch, „das Umfeld“ habe Bundesligafußball verdient, die Leute „sehnen sich nach Bundesliga“, ist ja so abgegriffen -  und er ist so wahr. Wie geht man damit nun um? Macht man Fans von Rasenballsport Leipzig jetzt zu „schlechteren“ Fans? Spricht man ihnen gar ab, Fan zu sein? Schreibt man „Fan“? 

Ich habe nach dem Spiel und mit den Erlebnissen im Kopf so meine Probleme damit, Leipzig richtig einzuordnen. Auf der einen Seite bin ich absolut dagegen, einem Fußballverein diese Art des Sponsorings durchgehen zu lassen. Auf der anderen Seite sehe ich die positive Strahlkraft von RBL. Ernsthaft: Man kann nicht scheiße finden, dass da Menschen Spaß am Fußball und an der Ligazugehörigkeit haben. Geht nicht. Und ich finde, dass auch diese Seite der Medaille in die Diskussion um RB mit einfließen muss. Ansonsten ist es viel zu einfach, über den Verein herzuziehen. Und auch das hat mich das Wochenende gelehrt: Wieso eigentlich sauer sein? Das klingt jetzt ein bisschen nach dem veröffentlichten Communiqué einiger Bremer Ultragruppen, ist aber im Kern ein wichtiger Punkt: RB ist nicht Schuld an dem, was wir da auf uns zukommen sehen.
Sollte 50+1 – Gott bewahre – gekippt werden, dann nicht, weil es Vereine wie RBL oder Hoffenheim gibt. Der einzige Grund dafür wäre die unendliche Macht des Geldes. Im Business Profisport geht es schon längst nicht mehr nur um Sport. Sowohl den Spielern, als auch den Vereinen geht es vor allem um Profitmaximierung. Ist das verwerflich? Vielleicht. Ist das verständlich? Ja! Wenn du in der Bundesliga oder sonst einer Profiliga vertreten sein willst, dann geht das nur mit Geld. RB Leipzig hat Geld. Woher? Irrelevant. Hoffenheim hat Geld. Woher? Irrelevant. Bayern München hat Geld. Woher? Vollkommen irrelevant. Ob vom Brausehersteller, vom Mäzen oder durch jahrelanges, erfolgreiches Fußballspielen – Geld ist Geld. Natürlich ist es schade, dass sportlicher Erfolg kein ausschlaggebendes Kriterium mehr dafür ist, welche Spieler man an Land ziehen kann. Es ist auch nicht wichtig, ob die Stadt, in der dein Verein beheimatet ist, in irgendeiner Form schön ist. Vollkommen egal. Die entscheidende Frage ist, ob du zahlen kannst. Und wenn ja, wie viel? Manch einem Sportler wird die Entscheidung hinterher vielleicht leidtun, aber am Ende steht nunmal die Kohle. Nicht wahr, Julian?
Der Fußball ist mittlerweile komplett entwurzelt. Da wird von Summen gesprochen, die ich wahrscheinlich nicht einmal fehlerfrei in den Taschenrechner getippt bekomme. Eitelkeiten sind heutzutage wichtiger als sportliche Leistungen. Man möchte fast meinen, dass sich extravagante Frisuren und Tattoos positiv auf die sportliche Begabung auswirken. Plötzlich ist alles wichtig. Leverkusen verliert zu Hause 0:3 gegen Hoffenheim. Wichtiger ist aber, dass der eine zum anderen gesagt hat, er solle die Schnauze halten. So what!? Gibt es keine wichtigeren, sportbezogenen Themen nach so einer Niederlage?

Man kann zur Kommerzialisierung und Entwurzelung des Fußballs stehen, wie man möchte. Man kann über alles diskutieren. Auch über Investoren. Ich für meinen Teil würde, behaupte ich jetzt, meine Dauerkarte nicht mehr in Anspruch nehmen, sollte Werder von einem Investor übernommen werden. Das wäre dann einfach nicht mehr mein Verein. Das wäre dann einer von vielen und das will ich nicht. Da mögen viele anders denken, einige würden sich vielleicht sogar freuen, über solch einen Geldregen. Mir ist das aber zu unromantisch. Ich will einen Verein unterstützen, der eine eigene Identität hat. Identität. So etwas hat RB Leipzig nicht. Das sage ich jetzt einfach so. Woher soll die auch kommen? Mit was soll man sich dort identifizieren? Mit dem Sponsor, weil man gerne Energydrinks trinkt? Mit dem Bullen, weil man sich selbst für so einen geilen Typen hält? Oder mit dem Stadionsprecher, weil man auch gerne wie ein Clown rumrennt, im roten Sakko, völlig überdreht? – kleiner Einwurf an dieser Stelle. Hat jemand dem Kerl Aufmerksamkeit geschenkt? Der geht ja ab wie ein Zäpfchen. So in etwa stelle ich mir Florian Silbereisen vor. Auf LSD.
Ich glaube nicht, dass jemand ernsthaft sagt, dass er deswegen RB Fan ist. Eher, weil hier endlich die Chance besteht, in einer wirklich schönen Stadt Erstligafußball zu sehen. Koste es, was es wolle. Das ist aber in meinen Augen auch okay. Vollkommen in Ordnung. Wer weiß, vielleicht würden wir auch zu RB gehen, wären wir dort aufgewachsen. Vielleicht wären wir dann diejenigen, die, zugekleistert mit Sponsorenbullen, „einmal Leipzig, immer Leipzig“ sängen. Who knows? Dann würden wir vielleicht einfach nickend zur Kenntnis nehmen, dass Marco Bode sich in die Garde derer einreiht, die für die Abschaffung von 50+1 stimmen. Vielleicht wären wir dann, so wie Bode, überzeugt davon, dass Investoren gut für den Fußball sind. 

Um zum Schluss zu kommen: Gefällt mir, dass RB Leipzig in Liga eins spielt? Nein. Gefällt mir die Richtung, in die die Bundesliga steuert? Nein. Sehe ich einen Ausweg? Nein.
Ich befürchte, dass das teuerste Gut der Bundesliga, nämlich die 50+1 Regelung, in den letzten Atemzügen liegt. DFL & DFB machen zumindest auf mich nicht den Anschein, als hätten sie ein ernsthaftes Interesse an einer Gleichstellung der Vereine. Wären sie daran das, hätte man bei Leipzig mit Sicherheit nicht nur im Logo etwas gefunden, was gegen die Statuten der Liga verstößt. Aber das ist Schnee von gestern. Genießen wir, was wir in Bremen (noch) haben. Nämlich einen Verein mit Identität. Wir sind nicht austauschbar. Das unterscheidet uns von RBL, Hoffenheim oder Wolfsburg. Und dafür sollten wir kämpfen. Mit allem, was uns Fans zur Verfügung steht. Vorletzter Satz ist mir übrigens sehr wichtig. Da steht: daFÜR sollten wir kämpfen. FÜR. Es ist zwecklos, gegen die weitere Kommerzialisierung des Fußballs anzukämpfen. Passieren wird es ohnehin und viel schlimmer kann es auch kaum noch werden. Wer das nicht glaubt, sollte bei der nächsten Gelegenheit in die Eventhölle nach Leipzig fahren. Guckt es euch an. Erlebt die Kundschaft. Das ist gar nicht böse gemeint. Ich find‘s okay, was die da machen und wie die da Fußball leben. Ich will nur nicht selber irgendwann in der Ostkurve stehen und mir eingestehen müssen, dass wir zu wenig dafür getan haben, zu behalten, was wir lieben. Individualität und irgendwie auch „anders sein“ gefällt mir zu gut, als dass ich es einfach aufgeben würde.

Wir waren in Leipzig. Das ist gut. Wir waren dort nicht, um Teil des Events RB zu sein. Wir waren da, weil wir singen „Egal wo du auch spielst“. Für Werder und damit auch für alle Werte, die wir durch diesen Verein repräsentiert sehen. Wie heißt es so schön? Wir sind Werder Bremen. Lieber Marco, Werder Bremen sollte Werder Bremen bleiben. Die Weser wird ja auch nicht mal eben gerade, nur weil Kanäle so akkurat aussehen.

Nur der SVW.

3 Kommentare:

  1. "... war die Hölle. Hier hat jemand jedes einzelne Klischee genommen und es erfüllt. Die vollkommene Reizüberflutung. "

    Vielleicht kannst du diesen Abschnitt mal etwas präzisieren und besonders im Hinblick und Vergleich zu anderen Stadionerlebnissen. Kann ich persönlich jedenfalls nicht nachvollziehen.

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  2. Ich lese mehrmals Hölle. Warum? Was hat dir denn dieses schreckliche Gefühl vermittelt? (Hölle ist ja schließlich eine Assoziation für etwas wirklich schlimmes)

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  3. „Ich für meinen Teil würde, behaupte ich jetzt, meine Dauerkarte nicht mehr in Anspruch nehmen, sollte Werder von einem Investor übernommen werden.“

    Und da stehe ich nun als HSV-Fan und -Mitglied und stelle fest: Die Übernahme durch einen Investor erfolgt (gerade bei „Traditionsclubs“) nicht als ein Prozess, der so einfach stattfindet, wie das umlegen eines Schalters. Es gibt viele Stufen zwischen dem eigenständigen Bundesligisten und dem extern finanzierten. Und gerade mein HSV zeigt gerade sehr deutlich wie sehr man z.B. auf dem Organigramm noch in die erste Kategorie gehört, finanziell aber schon seit Jahren (auch vor der Ausgliederung) zur zweiten. Wo würdest du da die Grenze ziehen?

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